13. Mai 2018: Interview zum Israeltag 2018

13. Mai 2018: Interview zum Israeltag 2018

Der Israeltag 2018 in Kempten setzt positive Signale über die Region hinaus. Mit ihrem Engagement haben die Veranstalter bewiesen, dass sich der Einsatz für Völkerverständigung rentiert und auf eine breite Resonanz trifft. Ein besonderes Lob gilt dem umsichtigen und extrem bürgernahen Einsatz der Polizei. Mit Begeisterung und gegenseitigem Respekt hat Kempten ein starkes Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt.

Im Nachgang unterhalte ich mich mit dem hauptverantwortlichen Organisator des Israeltags, dem Vorstand der Allgäuer Israelfreunde Andy Eggert.

 

Christian Seebauer Gestern war alles anders. Selbst Menschen mit arabischen Hintergrund sind gestern an den Ständen der Allgäuer Israelfreude am August-Fischer-Platz vorbeigelaufen und haben ein paar freundliche Worte mit den Veranstaltern gewechselt. Die Einheimischen haben sich für das bunte Programm interessiert. Und dann hat Israel am späten Abend mit dem schrillen aber durchaus tiefgründigen Song „Toy“ (Netta) noch den Eurovision Song Contest 2018 gewonnen. War gestern wirklich alles anders?
Andy Eggert Diese Jahr feiern wir zum siebten Mal den Israeltag in Kempten. Die Menschen im Allgäu kennen und schätzen die Feier, die Atmosphäre, das Essen, die Musik und die Angebote, die wir jedes Jahr bieten. Wir hatten fünf Jahre lang keinerlei Probleme. Erst im letzten Jahr wurde vorab über ein „Sicherheitskonzept“ für die Veranstaltung gesprochen, dass sich dann ja auch als absolut notwendig herausgestellt hat.

Dieses Jahr hatten wir von Beginn der Veranstaltung an eine sichtbare Präsenz der Polizei – und dank dieser Präsenz konnten wir den Kemptener Israeltag mit unseren Gästen wieder so feiern, wie wir das all die Jahre gewohnt waren. Unter unseren Besuchern waren einige mit arabischen oder afrikanischen Hintergrund – und die haben sich gefreut, auf unseren Ständen mit hausgemachtem Hummus verwöhnt zu werden.

Abends kam dann, so zusagend als „Sahnehäubchen“, noch die Meldung, dass Israel mit Netta den Song Contest gewonnen hat. Wir haben uns alle sehr gefreut, aber nach Abbau der Stände und Ausräumen der Autos war es eine eher kurze Freunde, weil wir an dem Abend alle müde und erschöpft ins Bett gefallen sind. Heute feiern wir Netta und den Jerusalem-Tag, morgen die Eröffnung der amerikanischen Botschaft in Jerusalem. Drei fröhliche Tage in Folge!

Christian Seebauer Viele Passanten haben neugierig gefragt „warum baut ihr hier Stände mit Israelfahnen, Wein und Humus auf? Was ist der Grund dafür? Herr Eggert, warum setzen Sie sich so für Israel ein?
Andy Eggert In den deutschen Medien wird ein sehr einseitiges Bild von Israel geboten. Die Allgäuer Israelfreunde wurden gegründet, um abseits von Politik und Schlagzeilen, den Menschen ein anderes, realistischeres Bild von Israel und den Menschen dort zu vermitteln: wir laden israelische Künstler ins Allgäu ein, verwöhnen unser Publikum mit israelischer Küche, bieten die Möglichkeit, Weine, Öl oder Pflegeprodukte aus Israel zu kaufen. Bei uns kann man sich über eine Reise ins heilige Land informieren und eine buchen oder sich auf einem unserer Vorträge über Themen rund um Israel informieren. Wir sind Anlaufstelle für Israelis, die im Allgäu leben.

Mit diesen und weiteren Aktivitäten möchten wir die Menschen im Allgäu und in Israel einander näher bringen und damit eine Art Immunisierung schaffen gegen die einseitigen und unausgewogenen Meldungen in unserer Presse.

Christian Seebauer Welches Motiv hatte die gestrige Veranstaltung? Was sollte erreicht werden? Und was wurde Ihrer Meinung nach erreicht?
Andy Eggert Der Israeltag in Kempten ist eigentlich eine große Geburtstagsparty: wir feiern den Geburtstag des modernen Staates Israel. Unser Motto dieses Jahr ist: „3.000 alt und 70 Jahre jung!“

Wir möchten mit dieser Ausrichtung darauf aufmerksam machen, dass es im Nahen Osten einen demokratischen, freien und pluralistischen Staat gibt, der sich aus uralten Wurzeln, trotz sehr problematischem Umfeld, in einem atemberaubenden Tempo entwickelt und verändert – und der viel komplexer, vielschichtiger und auch sympathischer ist, als man es von Deutschland aus gewöhnlich wahrnimmt.

Ob dieses Ziel erreicht wird? Jedes Jahr haben wir auf den Ständen Menschen, die uns von ihrem letzten Urlaub in Israel erzählen, von ihren Jugenderlebnissen im Kibbuz oder von ihrer Pilgerreise ins Heilige Land. Wir haben an den Israeltagen, auf den Konzerten und auch bei den Vorträgen praktisch nur positive Rückmeldungen und viele, viele Berichte über die freundlichen, hilfsbereiten und aufgeschlossenen Menschen, die unsere Besucher in Israel angetroffen haben.

Das zu vermitteln, ist unser Ziel. Und ja, ich denke, wir sind trotz Rückschlägen auf einem guten Weg.

Christian Seebauer Heute ist es offenbar keine Selbstverständlichkeit mehr, jüdisches Leben frei und ohne Angst in Deutschland zu zeigen und zu leben. Ich musste das kürzlich selbst in München in der Schillerstraße erfahren, als ich mit meiner grünen Jacke „Shvil Israel“ unterwegs war. Eigentlich eine reine Wanderjacke ohne jeglichen politischen Hintergrund. Genauso gut hätte ich mit einer Jacke vom Jakobsweg unterwegs sein können. Sobald aber „Israel“ draufsteht, scheint es tatsächlich gefährlich zu werden… ?
Andy Eggert Es ist absolut inakzeptabel, dass Juden oder jüdische Symbole in Deutschland nicht mehr sicher sind und verbal, im Internet oder physisch bedroht werden! Es wird noch viel zu wenig getan, um dieses Problem anzugehen, sei es präventiv oder durch Strafen. Wer meint, seinen Antisemitismus ausleben zu müssen, egal, aus welcher Quelle dieser Antisemitismus kommt, muss wissen, dass seine Äußerungen und seine Handlungen sofortige, ernste Konsequenzen für ihn ganz persönlich haben.
Christian Seebauer Ohne Schutz geht es leider nicht, eine friedfertige auf Ausgleich und Information bedachte Veranstaltung zum Thema Israel zu initiieren.

Ein großes Lob gilt meiner Meinung nach der Polizei in Kempten, allen beteiligten Polizistinnen und Polizisten und der absolut souveränen Einsatzleitung.
Er und das gesamte Team haben nicht nur eine starke Präsenz gezeigt, sondern haben sich vor allem sehr umsichtig und bürgernah als Menschen präsentiert, die unser aller Freiheit verteidigen, neutral dafür eintreten und sehr souverän und bedacht agieren. Sieht man diese Arbeit überhaupt?

Andy Eggert Auf der einen Seite bedaure ich es natürlich, dass wir eine so starke und sichtbare Polizeipräsenz brauchen, um eine kulturelle Veranstaltung, die der Freundschaft zwischen zwei Völkern gewidmet ist, durchführen zu können. Auf der anderen Seite bin ich froh, dass eben diese Präsenz uns die Sicherheit gibt, dass meine Vereinskollegen, aber natürlich auch unsere Gäste, sicher und geschützt, mit uns zusammen feiern können.

Ganz besonders möchte ich mich bedanken bei den Polizistinnen und Polizisten, die den ganzen Tag über in Einsatzmontur in der strahlenden Sonne gestanden, um die Stände Streife gegangen oder an so einem schönen Tag im Einsatzfahrzeug gesessen sind, nur, um auf uns aufzupassen. Vielen, vielen Dank für diesen Einsatz!

Christian Seebauer Israel steht in den Medien ja fast nie gut da. Aber hier geht es ja auch immer nur um Schlagzeilen. Negative Schlagzeilen. Aber auch dann, wenn etwas Positives passiert, hat man manchmal das Gefühl, das man es keinem Recht machen kann. Gestern ging es um bunte Luftballons, Kuchen, Humus, Reisen, Bücher. Und am Abend um den Eurovision Song Contest. Ich konnte also gestern beim besten Willen nichts Negatives erkennen…
Andy Eggert Na ja, wir alle hatten gestern einen aufregenden, spannenden und interessanten Tag und waren mit dem Tag und der Nacharbeit beschäftigt. Heute morgen haben wir uns alle über den israelischen Sieg beim Eurovision Song Contest gefreut.

Leider macht die einseitige, unausgewogene und verzerrte Berichterstattung über Israel keine Pause. Dazu nur zwei aktuelle Beispiele aus deutschen Medien:

Die Hamas in Gaza hat begonnen, Drachen zu bauen und diese mit Bomben oder Brandsätzen ausgestattet auf israelisches Gebiet fliegen zu lassen. Durch diese Angriffe wurden und werden viele Felder entlang der Grenze abgebrannt, viele Arbeiter dort in Gefahr gebracht und große Schäden verursacht.

Eine Reporterin der ARD twitterte ein Bild von vermummten Jugendlichen, die solche Drachen bauen, mit dem Text „Die Drachen, die sie basteln, wollen sie am Freitag nach Israel fliegen lassen (…). Kein Wort, kein Bild, keine Erwähnung der Brandsätze oder Bomben, die mit diesen Drachen befördert werden!

Ein anderes Beispiel:

Trotz Raketenangriffen, Infiltrationsversuchen und Feuerdrachen versorgt Israel die Bewohner Gazas – oft ohne Bezahlung – mit allen Gütern des täglichen Lebens, Gas und Diesel. Die meisten dieser Lieferungen erfolgen über den Kontrollpunkt Keren Shalom, wo auch eine Pipeline für Diesel und Gas nach Gaza verläuft.

Ein arabischer Mob hat am Freitag in einer Orgie der Zerstörung diesen Grenzübergang zerstört, das für die Übergabe der Waren nötige Förderbrand in Brand gesetzt und die Gas- und Dieselpipeline gesprengt. Jede Lieferung nach Gaza ist nach diesem Gewaltausbruch somit unmöglich.

Was lese ich in der deutschen Presse? „Israel stellt die Lieferungen nach Gaza ein.“

Und die FAZ meldet heute morgen, dass nach dem israelischen Sieg beim Song Contest der nächste Eurovision Song Contest in der „vermeintlich künftigen Hauptstadt seines Landes (Israel) stattfinden wird.

Also: doch, auch nach Israeltag und Netta ist noch genügend negatives zu erkennen. Wir haben noch viel, sehr viel zu tun!

Christian Seebauer Ich hatte gestern den Eindruck, auch die umliegenden Geschäfte waren dieses Jahr der Veranstaltung gegenüber aufgeschlossen. Ändert sich hier gerade etwas?
Andy Eggert Diese Jahr hatten wir das Allgäuer Reisebüro „One World“ aus Altusried als Spezialisten für Reisen nach Israel mit an Bord. Wie jedes Jahr hat uns Israel-Spezialitäten aus Leiningen mit Wein, Öl und Pflegeprodukten versorgt. Die Sportschule Movement aus Illertissen hat eine Krav-Maga Vorführung gemache.

Unser Ziel ist es, jedes Jahr eine Anzahl lokaler Firmen mit Bezug zu Israel auf dem Israeltag vorzustellen. Und nach sieben erfolgreichen Jahren in Folge und einigen positiven Artikeln in der lokalen Presse wird es natürlich einfacher, diese Firmen anzusprechen und zu gewinnen.

Christian Seebauer Kempten ist eine Stadt, in der man sich wohlfühlen kann und darf. Wie kommt Ihr Einsatz bei den Bürgerinnen und Bürgern an?
Andy Eggert Wie gesagt, wir hatten und haben durchweg positive Reaktionen, nicht nur auf den Israeltagen, sondern auch auf Vorträgen oder Konzerten. Die Allgäuer kennen und schätzen unsere Veranstaltungen, wir sind immer sehr gut besucht.

Die Allgäuer Israelfreunde sind akzeptierter Teil der Kemptener Vereinsszene, wir haben einen sehr guten Kontakt zur Stadtverwaltung und zu den lokalen Sicherheitsbehörden. Ohne diese Unterstützung wären unsere Veranstaltungen so gar nicht möglich.

Christian Seebauer Ist es nicht naiv, einen so großen Aufwand für ein paar positive Impulse zu betreiben?
Andy Eggert Kommt darauf an, was man als „ein paar positive Impulse“ betrachtet.

Im Sommer 2015 durften wir die Kemptener Montessori-Schule mit Unterrichtsmaterial zum Thema Israel ausstatten. 22 Kinder trafen sich in einem Zeitraum von 8 Wochen regelmäßig, um mit diesem Material Sprache, Religion und Kultur Israel zu lernen und zu verstehen.

Zwei Jahre vorher ist es uns gelungen, zwei jüdische Frauen, die als kleine Kinder den Beginn der Nazizeit und die Kristallnacht selbst erlebt haben, zu einem Vortrag zu bewegen. In dem kleinen Saal drängten sich 85 Zuhörer – und die meisten von Ihnen waren junge Menschen um die 20.

Ich denke, für das richtige Ziel ist kein Aufwand zu groß.

Christian Seebauer Ein paar Worte zu den Allgäuer Israelfreunden und zu den Menschen, die sich hier an den Ständen für eine differenzierte Sichtweise eingesetzt haben…
Andy Eggert Wir sind ein kleiner, aber sehr aktiver Verein, in dem sich Menschen aus ganz verschiedenen Beweggründen für Israel einsetzen: unter uns sind Juden, Christen und Atheisten. Einige waren schon viele Male in Israel, andere träumen noch von einer Reise dorthin. Drei von uns haben bei Sar-El gedient, vier sind den Israel-Trail gelaufen. Einige von uns waren in Israel, um christliche Stätten zu sehen, andere, um in Eilat zu tauchen.

Wir sind eine Anzahl sehr verschiedener Menschen mit sehr verschiedenen Beweggründen, die eigentlich nur eins gemeinsam haben:

Wer sich den ganzen Tag mit einem Israel-Stand in die Fußgängerzone stellt und laut und klar für Israel wirbt, muss ein wenig meschugge sein.

Christian Seebauer Was wünschen Sie Kempten? Und was wünschen Sie den Menschen in Israel, für die Sie sich einsetzen?
Andy Eggert Trotz reicher jüdischer Geschichte gibt es zur Zeit leider im ganzen Allgäu keine lebendige jüdische Gemeinde mehr. Wer jüdisches Leben erfahren möchte, muss nach Konstanz, Ulm oder Augsburg fahren. Ich wünsche mir, dass eines Tages jüdisches Leben ins Allgäu zurückkehrt.

Israel und den Menschen dort wünsche ich vor allem eins: Shalom, Friede, für die nächsten 70 und für die nächsten 3.000 Jahre.

 

Danke Herr Eggert.

Erschienen auf https://www.israel-trail.com/israeltag-2018-in-kempten-setzt-positive-signale/