Jutta Eggert von den Allgäuer Israelfreunden im Interview mit Christian Seebauer auf dem Israeltag Kempten am 14. Mai 2016
Interview mit Christian Seebauer
Jutta Eggert von den Allgäuer Israelfreunden im Interview mit Christian
Seebauer auf dem Israeltag Kempten am 14. Mai 2016
Christian Seebauer hat Israel zu Fuß entdeckt und wird heute darüber berichten. 50 Tage, 1.000 Kilometer allein, zu Fuß durch das Heilige Land kann ich mir ja noch vorstellen, aber warum ohne Geld? Wie kommt man auf so eine Idee?
Damit man einmal im Leben die Menschen so kennen lernt, wie sie wirklich sind! Die Idee dazu kam mir vor einigen Jahren am Jakobsweg. Hier habe ich zwei Pilger kennen begleitet, die völlig ohne Geld gewandert sind. Die haben ihr Brot dann mit mir geteilt. Das war eine unglaubliche Erfahrung und ich sagte mir immer: Wenn ich eines Tages den Mut dazu habe, dann mache ich das auch. Wenn man bettelt, dann verstellt sich keiner mehr. Was du dann bekommst, sind echte Gefühle und ein echtes Bild von Deinem Gegenüber. Genau darum geht es. Die Menschen im Heiligen Land so zu sehen, wie sie wirklich sind – und nicht, wie sie in den Medien oft dargestellt werden. Was ich selbst erlebt habe, war eine gigantische Hilfsbereitschaft und eine riesige Nächstenliebe. Jeder Schritt hat mich bewegt!
Du warst zuvor noch nie zuvor in Israel. Was hast Du erwartet?
Und wie war es wirklich?
Ich war noch nie zuvor in Israel, war auch vollkommen unvorbereitet, aber eben auch ohne jegliche Vorurteile. Ich war einfach neugierig, Israel und seine Menschen selbst zu erleben. Zu sehen, wie es wirklich dort ist. Darauf habe ich mich gefreut. Aber zu Hause habe ich vor meiner Reise auch – insbesondere meine Frau – viele Vorurteile und Bedenken gehört. Über Israel wird ja ständig fast nur negativ berichtet. Im Nachhinein kann ich nur sagen: Es war unheimlich schön dort, modern, weltoffen und extrem freundlich. Und es war, was meine vielen Begegnungen mit den Menschen am Weg betrifft auch extrem ehrlich.
Wie kann man sich diesen Weg vorstellen? Du schreibst ja, dass du sich immer wieder einmal verlaufen hast…
Man kann sich den Israel National Trail oder auch ‘Shvil Israel’ durchaus ein bisschen wie den Jakobsweg vorstellen. Nur hier finden Pilger vielleicht das, was sie sich vom Jakobsweg gewünscht hätten: Ruhe und innere Einkehr. Im Norden ist der Israel Trail durchaus so, wie man sich einen schönen und gut markierten Wanderpfad im Allgäu vorstellen kann. Eigentlich kann man sich da gar nicht verlaufen. Zumindest nicht, wenn man nicht vor sich hinträumt. Aber natürlich passiert genau das, weil es ja einfach traumhaft schön ist.
Ich habe mich immer wieder verlaufen. Gott sei Dank konnte ich das Verlaufen im Norden sozusagen trainieren! In der Wüste Negev darf das nicht passieren, da wird Verlaufen ohne Wasser ganz einfach lebensgefährlich. Wer nicht zurückfindet ist am nächsten womöglich Tag tot.
Du schreibst im Buch viel über menschliche Begegnungen.
Welchen Menschen begegnet man am Israel Trail überhaupt?
Gott sei Dank keinen Politikern! (schmunzelt). Nein, es sind die ganz normalen, die einfachen Menschen, denen du am Weg begegnest. Also einfach jeder. Israelis, arabische Israelis, Juden, Muslime, Christen, Drusen, junge Menschen und alte Menschen, Frauen, Männer, allein oder in kleinen Wandergruppen, Langzeitpilger und Tageswanderern. Sportler, Nichtsportler. Kinder, Eltern, Großeltern. Gesunde und Kranke. Gläubige und solche, die nicht glauben.
Und das Schöne daran ist: Du weist ja nie, wer da gerade vor dir steht. Ein einfacher Künstler, ein Angestellter oder ein Vorstand eines großen Konzerns. Vielleicht wandern ja auch Politiker, dann aber würde man sie vermultich als Pilger und als echte Mescnhen erleben. Hier am Israel Trail sind alle gleich; sie interessieren sich für das Heilige Land, das Pilgern, die innere Einkehr. Sie glauben an das Verbindende, an das Friedliche. Sie treffen sich im Vorbeigehen, umarmen sich vielleicht kurz, klopfen sich auf die Schulter und wünschen sich einen guten Weg. Aber dieser kurze Moment ist einfach echt bewegend, denn er ist echt. Da draußen kommen sich alle Menschen nahe. Alle!
Jeden Tag um Brot und Wasser betteln. Wie viele Neins bekommt man da eigentlich?
(wird sehr nachdenklich) Eigentlich bekommt man fast gar keine Neins. Das hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Das Schwierige war eher, dass du jeden einzelnen Tag immer wieder über deinen verdammten Stolz springen musst und dein Gegenüber um etwas bitten musst. Hast du ein kleines Stück Brot für mich? Möchtest du mir ein wenig Wasser geben? Du kommst ja als Bettler plötzlich aus einer anderen Welt. Niemand bringt dir Respekt oder Gefühle wegen Deinem Geld entgegen. Das scheidet definitiv aus. Du hast überhaupt keinen Stolz mehr und keine Schutzhülle um dich herum. Du bist in einem solchem Moment total schutzlos. Du bist Bittsteller und Bettler. Du stinkst mittlerweile. Und ja, du schämst dich manchmal zu Tode. Stellst oft in Frage, was du da tust und warum du das tust. Und wenn dich in einem solchen Moment einer Umarmt und dir eine Scheibe Pitabrot schenkt… (stockt, bekommt feuchte Augen)
… das kann man nicht beschreiben.
Das fliesen manchmal einfach auch die Tränen. Und du kannst das nicht kontrollieren. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass ich – wenn ich in ein Stück Brot beiße – dass mich das so bewegt. Aber man fängt an, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Etwas an sich herankommen zu lassen. Etwas Essbares zu schätzen. Und: Den zu schätzen, der dir da gerade etwas gibt.
Und Du hattest keinen Notgroschen dabei?
Nein. Oder besser gesagt: Ich weiß es nicht. Meine Kinder haben mir einen bemalten und versiegelten Briefumschlag mit auf den Weg gegeben. Eingeschweißt in Folie. Der hängt heute noch ungeöffnet an meinem Schreibtisch. Aber es war ja für mich ein selbstgewähltes, ein „Luxusproblem“, ohne Geld auf die Reise zu den Herzen zu gehen. Ich habe ein Handy dabeigehabt. Und ich hätte auch jederzeit abbrechen können. Meine Frau anrufen und sagen: Ich kann nicht mehr, hol’ mich da raus. Aber irgendwann unterwegs begreifst du natürlich auch: Das ist jetzt kein Spiel mehr, das ist dein ganz eigener selbst bestimmter Weg. Du musst ihn gehen. Und da sind so viele andere, die glauben an dich, haben dir geholfen, sind dir für einen Augenblick begegnet und du nimmst sie natürlich in deinem Herzen mit am Trail.
Am Berg Tabor – habe ich gelesen, hatte ausgerechnet ein Deutsches Rentnerpaar vor dir richtig Angst, weil du ihnen ein gemeinsames Foto machen wolltest. …
Das war schon irgendwie kurios. Mir war schon klar, dass ich längst zu einem niemand geworden bin. Nicht aber, dass ich anderen Angst einjagen würde. Da waren die beiden deutschen Rentner-Touristen und ich fragte sie, ob ich ein gemeinsames Foto von ihnen machen solle? Doch sie nahmen sofort Reißaus vor mir, wohl hatten Angst, dass ich sie bestehlen könne. Wenn du dann allein da sitzt, denkst du schon über vieles nach. Und es wird dir klar: Vorurteile lassen dem Guten einfach keine Chance. Die Menschen laufen wohl oft vor dem Guten davon. Und Israel war nur gut zu mir. Es hat mir manchmal fast das Herz zerrissen, dass ich immer nur annehmen ‘musste’ und auf diesem Weg nichts zurückgeben konnte. Aber vielleicht ist es genau das, was mir auf dieser Reise klar geworden ist. Man muss etwas zurückgeben in dieser Welt, vielleicht an einen ganz anderen.
Viele besuchen ja das Heilige Land, um möglichst viele Historische Plätze zu besuchen. Man könnte auch sagen „Jesus was here“ … Wie sieht man das als Wanderer?
(lacht) Jesus was here – Ja, so eine Tafel gab es tatsächlich einmal in der Nähe des See Genezareth. Und ich dachte mir, vielleicht war Jesus mit seinen Jüngern ja gar nicht dort, wo die Tafel heute steht. Vielleicht war er ein paar Meter genau hier unter dem Olivenbaum, unter dem ich gerade sitze. Wenn du zu Fuß unterwegs bist, wandelst du natürlich 50 Tage lang auf Heilgem Boden. Ich hätte mir oft ein Buch gewünscht, was mir erklärt, vor was ich gerade stehe. Aber ein dickes Buch kann man natürlich als Wanderer nicht mitnehmen. Als Wanderer entgeht einem so sicherlich viel Historisches, aber man sieht alles mit dem Herzen, man hat Zeit für eigene Gedanken.
Jeder kleine Stein bekommt eine eigene Bedeutung, du kannst deiner Fantasie freien Lauf lassen.
Ein krasses Beispiel sind die Karmel Berge, wo 2010 verheerende Waldbrände viel Land vernichtet haben. Manche sehen sich das als interessierter Tourist sicher an, aber sie sehen dann eigentlich nur ein paar Stellen und Denkmäler, zu denen man sie hinbringt. Zu Fuß ist alles viel größer. Ich war durch die ehemaligen Waldbrandgebiete ganze drei Tage lang unterwegs. Da wird einem die riesige Dimension klar, die man als Busreisender so wohl niemals erfassen kann.
Und ganz ähnlich ist es auch mit religiösen Themen, mit Gott, mit der Geschichte und mit allem, über dass du dir als langsamer Fußgänger Gedanken machen kannst.
Du hast meistens unter freiem Himmel geschlafen, hin und wieder aber auch ein Dach über dem Kopf gehabt. …
Es war herrlich. Im Norden Israels kann man oft auf Trail Angels zurückgreifen. Trail Angels, das sind Engel am Weg, die dir hin und wieder ein Dach über dem Kopf anbieten, eine Dusche oder etwas Essbares. So oft es ging, habe ich im Zelt geschlafen. Aber das habe ich dann verschenkt. Bei Tsur ist es in guten Händen. Er ist heute viel mit diesem Zelt unterwegs. Im Süden, in der Wüste Negev habe ich dann unter freiem Himmel geschlafen. Der Sternenhimmel ist fast wie in einem Sciencefiction-Fiction-Film. Gigantisch!
In Nazareth durftest du sogar im Hotel übernachten und arbeiten,
eine witzige Geschichte …
Naja, so witzig war das alles gar nicht. Ich habe auf meinem Weg hoch nach Nazareth Illit viele Neins bekommen. Es waren aber auch Neins, die ich da selbst auf mich gezogen habe, weil ich irgendwie nicht mehr geglaubt habe. Und wer schon mit dem Gedanken klingelt ‘das wird eh nichts’, dem geschieht es natürlich auch so. Zu Recht! Und fast ganz oben angekommen, war dann schließlich nichts mehr, außer einem der teuersten und edelsten Hotels schlechthin. Das war unerreichbar, wie aus einer anderen Welt, das St. Gabriels Hotel. Ich der Bettler. Dort das Bett?
Gott muss mir da wohl einen Blitz ins Gehirn einschlagen haben lassen, jedenfalls bin ich plötzlich aufgestanden, zielstrebig wie ein Hochstapler auf das Hotel zugegangen und habe zu den Sicherheitskräften gesagt, ich hätte gleich einen Termin mit dem Hotelchef. So war es dann natürlich auch tatsächlich, denn der Hotelchef stand bereits vorinformiert an der Rezeption, weil er wissen wollte, welcher Penner da so frech ist. Dass er mich für mein Brot und für eine Unterkunft in der Küche arbeiten hat lassen, hat mir an diesem Tag ein klein wenig von meinem implodiertem Selbstwertgefühl zurück gegeben. Ich war ihm extrem dankbar, dass ich für etwas Essbares endlich einmal eine winzige Gegenleitung erbringen durfte. Witzig war das allenfalls in der Rückschau. Ich bin auf ein großes Herz gestoßen und das macht dich dann schon sehr sehr klein.
Heute ist ja auch der JNF-KKL hier. In deinem Buch beschreibst du immer wieder, wie du die Arbeit des KKL erlebt hast …
Keren Kayemeth LeIsrael – Israels größte grüne Hilfsorganisation. Als Fußgänger am Israel National Trail erlebst du den KKL auf Schritt und Tritt. Und da begreift man auch, wie riesig die Dimensionen der Hilfe sind. Die haben mittlerweile an die Zweihundertmillionen Bäume gepflanzt und ein halbes Land begrünt. Hätte ich es nicht als Wanderer selbst erlebt, ich hätte mir solche Größenordnungen schlicht nicht vorstellen können. Es ist ja nicht so wie in Deutschland, dass man einfach nur warten muss, bis wieder irgendwo von selbst etwas wächst.
In Israel ist jeder einzelne Baum von Hand gepflanzt. Und der muss dann auch Jahre lang gehegt und gepflegt werden, damit er überhaupt eine Chance hat. Ein Wahnsinns Aufwand! Ich weiß – ja – hier bei den Allgäuer Israelfreunden gibt es Spenderinnen und Spender, die sich seit vielen Jahren für die Wälder in Israel einsetzen. Schon mit 18 Euro kann man einen Baum für KKL spenden, manche haben mittlerweile aber auch schon einen ganzen Wald gespendet.
Und da geht es meiner Meinung nach um viel viel mehr, als einfach nur um einen Wald. Es geht um eine grüne Zukunft. Es geht um den Glauben an etwas Positives, an etwas Nachhaltiges. Man kann so eine Spende gar nicht hoch genug einschätzen. Das hat etwas sehr Emotionales – für mich jedenfalls. Ich durfte für KKL einen Baum pflanzen. Und ich sage Euch allen hier, das ist etwas so Tiefgreifendes, dass man sein Leben lang nicht mehr vergessen wird. Ich habe auf meinem Weg als Bettler Eure Bäume gesehen. Ich habe gesehen, dass da nicht „Hans“ oder „Erika“ draufsteht, sondern dass ihr da alle gemeinsam an etwas ganz Großem wirkt. Dafür bin ich Euch allen zutiefst dankbar. Was ihr für Israel und für den KKL tut, ist großartig.
Christian, eine ganz persönliche Frage. Du kommst aus Dachau. Hast Du das so gesagt? Und wie reagierten die Menschen darauf?
Ja, ganz klar: Ich bin der Christian aus Dachau. Und ganz klar, das habe ich auch so gesagt. Und ja: Ich habe die ein oder andere kurze Schrecksekunde erlebt.
Doch nie hat mich hier in Israel die Vergangenheitskeule eingeholt.
Was ich erlebt habe, war das komplette Gegenteil von allem, was überhaupt vorstellbar ist. Dass da ein älterer Jude zu mir sagt „Weißt Du, das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich einem Deutschen ein Stück Brot geschenkt habe und ich bin froh, dass ich dich getroffen habe …“ (schweigt)
… das ist (schweigt wieder)
Herzzerreißend!
Das macht dich sprachlos. Dankbar. Und du spürst, dass das gerade ein extrem intimer Moment war, den du erleben durftest. Da sind sich zwei Menschen begegnet. Und in diesen wenigen Sekunden hat sich im Kopf vielleicht mehr abgespielt, als sonst in vielen Jahren. Und fast sieben Wochen lang durfte ich jeden Tag nur deshalb immer weiter und weiter gehen, weil mir einfach jeder geholfen hat. Weil jede einzelne Sekunde eine Sekunde mit menschlichen Werten war. Das waren Begegnungen ohne Vorurteile. Immer mit großer Courage. Mit Neugier. Und mit Nächstenliebe. Ich denke, es gibt ganz viele Wege, um uns näher zu kommen. Heute feiern wir Israels Geburtstag. Es ist egal, ob wir Kuchen backen, gemeinsam Musik machen, lesen, zuhören, tanzen, lachen, tauchen, Urlaub machen, lernen oder wie ich wandern. Zu Wandern ist nur eine der vielen Türen, die sich öffnen, wenn wir nur wollen, uns auf einander einzulassen, uns besser zu verstehen und füreinander einstehen.
Unterwegs hast du teilweise sehr große Strapazen auf dich genommen. Hitze, Hunger, Durst, viel zu schweres Gepäck…
Hast Du auch einmal ans Aufgeben gedacht?
Ganz klar ja. Das erste Mal hätte ich am liebsten schon am Flughafen Tel Aviv aufgegeben. Ich dachte mir: Was du vorhast, ist völlig utopisch. Das kann man nicht machen. Nicht als Deutscher. Nicht als Dachauer. Nicht in Israel. Und ich dachte auch: Ich selbst werde das niemals schaffen. Ich kann das einfach nicht. Doch bereits am Flughafen sagte ein Mann zu mir „Wenn es irgendwo auf der Welt geht, so einen Weg zu gehen, dann hier, in Israel. Du wirst sehen: Jeder wird dir hier helfen. Du musst aber auch lernen, Hilfe anzunehmen.“
Aber auch unterwegs bin ich immer wieder an eigene Grenzen gestoßen, wo ich fast aufgegeben hätte. Doch da haben mir bereits schon so viele Israelis geholfen und an mich geglaubt, auch meine Familie und meine Kinder haben an mich geglaubt. Und ich wollte es ja auch so. Dass es kein einfacher Weg werden würde, war mir klar. Es ist aber nicht meine Geschichte, sondern es ist die Geschichte von den täglichen Begegnungen, von all den lieben Seelen, die mich immer ein Stück vorwärts getragen haben. Es war deren großartige Leistung. Nicht meine!
Ich habe mich auch an das ‘Vater Unser’ erinnert. Hier heißt es ja „Unser tägliches Brot gib uns heute“, was so viel bedeutet wie, dass wir für den Augenblick dankbar sein sollen und uns nicht schon Sorgen über den nächsten Tag machen sollen. Mein Ziel „Eilat“ war ohnehin so unendlich weit entfernt, dass ich niemals fest daran gedacht habe. Dass ich dort tatsächlich angekommen bin, ist der Verdienst all derer, die mir geholfen haben, die mich umarmt haben und die mir Liebe und Vertrauen geschenkt haben. Sie haben mir oft auch gesagt: Ich soll auf Gott hören!
Im Maktesh Katan Krater sind immer wieder Wanderer an Selbstüberschätzung gestorben. Dehydriert und erst Tage später gefunden worden.
Du selbst warst deinen Grenzen hier sehr Nahe?
Ja. Ich war bereits seit Tagen recht schwach unterwegs, hatte wenig gegessen. Und ich war total erschöpft. Am Rande meiner Kräfte. Im Krater ist es plötzlich windstill, hat unmenschliche Temperaturen. Und ich bin immer wieder vor Erschöpfung getaumelt und gestürzt. Schließlich kam mir Levi mit seiner israelischen Reisegruppe mitten im Krater entgegen, fast wie eine Fatamorgana. „You need water?“, haben sie mir schon von weitem zugerufen. Levi hat mir einige seiner Vorräte geschenkt, es war sein letzter Tag auf dem Trail. Ich habe Levi umarmt, musste weinen. Und dann fängt man an, sich wie ein scheuer Hund zu verhalten, dem man einen Knochen schenkt. Ich bin Kilometer weit in den Krater gerannt, um schließlich meinen „Knochen“ allein zu essen. Das Gefühl von Scham, Dankbarkeit und Schmerz ist unbeschreiblich groß.
Da war alles weit jenseits meiner bisherigen Grenzen. Um für ein Stück Brot Rotz und Wasser zu weinen und zu fühlen, was das eigentlich alles gerade für dich bedeutet, ist schon grenzwertig. Ich bin noch nie in meinem Leben Menschen so Nahe gekommen. Dafür bin ich unendlich dankbar und glücklich. Man wird natürlich kein anderer Mensch dadurch, aber ich hoffe schon, dass ich mir ein wenig davon behalten kann und in Zukunft eben auch sehe, wenn andere Meine Hilfe brauchen.
Israel zum Beispiel als Land oder die Juden in unserem Land stehen manchmal wohl auch ziemlich alleine da. Wir sollten anfangen, mit unserem Herzen zu sehen!
Um Brot und Wasser zu betteln, kann ich mir im Norden noch vorstellen. Aber nicht in der Wüste. Hier hattest Du Wasservorräte …
In der Wüste um Wasser zu betteln, das geht gar nicht. Damit würdest du andere unmittelbar und akut selbst in Lebensgefahr bringen! Ich hatte vor meiner Reise Uniprofessor Haim Berger aus Midreshet Ben Gurion um Hilfe gebeten. Er hat mir Wasservorräte an einigen wichtigen Punkten vergraben. Ich habe also hier buchstäblich mein Leben in fremde Hände gelegt. Haim Berger unterstützt seit jeher Studenten aus Israel am Trail mit seinen Depots. Wer den Israel Trail macht, kann sich von ihm Wasserdepots anlegen lassen. Dass Haim mir schließlich das Wasser geschenkt hat, war eine großartige Geste. Ohne ihn wäre das Vorhaben so nicht möglich gewesen.
Einmal schreibst du im Buch, der schlimmste Moment in Israel wäre für Dich gewesen, etwas Essbares von Kindern anzunehmen …
Ja, da wollte ich definitv alles hinwerfen. Das war jenseits von allem für mich noch Vertretbaren. Ich saß erschöpft und mit blutig aufgeschlagenem Knie auf dem Aufstieg zu einem Aussichtsberg. Als ich viele Kinderstimmen hörte. Sie waren mit zwei Elternpaaren unterwegs zu einer Geburtstagsfeier auf dem Berggipfel und alle fragten mich im Vorbeigehen: „Bist du o.k.? Brauchst du Hilfe?“
Ich Idiot sagte allen: Nein, es geht mir gut.
Als ich schließlich viel später am Berg bei den Kindern ankam, stolperte ich wieder. Eine der Mütter versorgte mein blutendes Knie und sagt zu ihrem Sohn „Gib dem Mann doch mal deinen Müsliriegel“.
Das war zu viel für mich. Ich wollte da nur davonrennen. Aufgeben. Aufhören. man kann doch einem Kind nicht das Essen wegnehmen. Ich habe mich extrem schlecht gefühlt, merkte aber das das Kind mir unbedingt seinen Müsliriegel geben wollte und dabei Freude hatte. Aber nein, so einen Moment kann man mit Worten gar nicht mehr beschreiben. Ich kann heute nur ganz im Stillen beten und leise sagen: Danke!“
Gibt es ein besonderes Erlebnis, was Du nie mehr vergessen wirst?
Der Shvil selbst war dieses besondere Erlebnis. Er hat mir mehr gegeben, als der Jakobsweg. Und es war in meinem Leben auch der Höhepunkt. Ich werde Israel und seine Menschen nie mehr vergessen. Ich habe sie in mein mein Herz geschlossen. Es war ja so, dass ich jeden einzelnen Tag, also 51 Tage immer auf gute Menschen gestoßen bin, die mir geholfen haben. Nur deshalb konnte und durfte ich immer weiter gehen.
Als Du nach 50 Tagen das erste Mal das Rote Meer siehst, hast Du gar nicht gejubelt, lese ich in deinem Buch. Du beschreibst diesen Moment eher als depressiven Moment?
Das ist vielleicht für einen Außenstehender gar nicht zu verstehen. Bis zum letzten Tag habe ich nicht wirklich begriffen, warum mich Gott und die Menschen in Israel immer noch weiter laufen ließen. An ein Ziel habe ich längst nicht mehr gedacht. Bin immer nur aufgestanden und gegangen. Und da war es plötzlich – aber es war nicht mehr mein Ziel. Der Israel Trail ist ja keine sportliche Leistung, sondern es ist ein Weg der inneren Einkehr. Ein Weg des Verstehens und des Begreifens. Aber er lässt dich am Ende auch orientierungslos zurück! Wenn du plötzlich wieder in deine alte Welt passen sollst. Geht das noch? Du hast dich selbst verändert. Der Weg hat dich verändert. Und die Menschen. Du willst nicht mehr ankommen, sondern am liebsten zurück zu den Menschen, die dir geholfen haben. Zurück in die Wüste!
Dein Buch ist kein politisches Buch. Und es ist ja auch kein reiner Reiseführer.
Wer liest dein Buch „Israel Trail mit Herz“ denn?
Das weiß ich natürlich nicht. Ich wünsche mir nur, dass mich meine Leserinnen und Leser begleiten. Weiß schon – das geht natürlich nicht wirklich, aber wer weiß das schon. Auf jeden Fall möchte ich in meinem Buch den Leser wirklich mitnehmen. Ich möchte mich nicht vor ihm verstecken, sein, wie ich bin und ihn als echten Freund und Weggefährten gewinnen. Und da kann der Leser auch im „echten“ Leben im Rollstuhl sitzen, alt sein – Hauptsache, er oder sie haben den Mut, mit mir in Gedanken mitzugehen. In Gedanken zu erleben, wie schön und anders es im Heiligen Land ist, wie nahe wir uns kommen können. Träumen ist ausdrücklich erlaubt. Lesen kann es jeder: Pilger, Jakobswegbegeisterte, Sinnsuchende, Selbstsuchende, solche, die Gott suchen und finden möchten, Juden, Christen, Muslime, all jene, denen Frieden und die Sehnsucht nach menschlichen Werten wichtiger ist, als Negativschlagzeilen. Solchen, die Israels Geburtstag feiern und die an Verständigung und an das Gute glauben.
Was man in meinem Buch nicht findet, ist Politik. Darüber sollen andere schreiben. Was man aber findet, ist Nächstenliebe und Dankbarkeit.
Danke, liebe Allgäuer Israelfreunde, Danke liebe Zuhörerinnen und Zuhörer und Danke an alle, die heute am Israeltag trotz strömendem Regen einen kurzen Moment innegehalten haben und zu Israel gestanden sind!
Dann wünsche ich Dir viel Erfolg!
Den wünsche ich EUCH allen. Bis zum nächten Mal!